Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist kein neues Thema – aber 2025 rücken neue Anforderungen und Erwartungen in den Fokus. Rechtlich, aber auch kulturell. Für viele Unternehmen ist das BEM bislang eher ein formeller Akt. Doch mit den jüngsten Anpassungen steigt der Druck, das Verfahren ernsthaft zu leben – oder es juristisch auf solide Beine zu stellen.
Was ist BEM – und wen betrifft es?
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist ein gesetzlich verankerter Prozess, der Unternehmen dazu verpflichtet, Mitarbeitenden nach längerer oder wiederholter Arbeitsunfähigkeit ein strukturiertes Unterstützungsangebot zu machen. Die gesetzliche Grundlage bildet § 167 Abs. 2 SGB IX.
Ein BEM muss allen Mitarbeitenden angeboten werden, die innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten insgesamt länger als sechs Wochen – ununterbrochen oder wiederholt – arbeitsunfähig waren. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Arbeitsunfähigkeit körperliche, psychische, berufliche oder private Ursachen hat. Auch die Art des Beschäftigungsverhältnisses (befristet, unbefristet, Teilzeit, Vollzeit) ist dabei nicht ausschlaggebend – das BEM gilt für alle Mitarbeitenden gleichermaßen.
Das Ziel des BEM ist mehrschichtig:
- Die Arbeitsunfähigkeit soll überwunden werden, idealerweise mit dauerhafter Rückkehr an den Arbeitsplatz.
- Einer erneuten Erkrankung soll vorgebeugt werden, zum Beispiel durch Anpassung der Arbeitsbedingungen oder gezielte Unterstützung.
- Der bestehende Arbeitsplatz soll erhalten bleiben – es geht also um Prävention, nicht um Trennung.
Ein gut geführtes BEM stärkt nicht nur die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der betroffenen Person, sondern kann auch Fluktuation, Fehlzeiten und rechtliche Auseinandersetzungen vermeiden helfen. Zudem bietet es Arbeitgebern die Chance, ein klares Zeichen für gelebte Fürsorge, Inklusion und eine gesundheitsförderliche Unternehmenskultur zu setzen.
Wichtig zu wissen: Das BEM ist kein arbeitsmedizinisches Gutachten und auch kein Kündigungsgespräch. Es ist ein vertrauliches, freiwilliges Angebot mit dem Ziel, gemeinsam Wege zurück in den Arbeitsalltag zu finden – im Sinne aller Beteiligten.
Was ist neu: Strengere Anforderungen an ein rechtskonformes BEM
Die Rechtsprechung hat in den vergangenen Jahren die Anforderungen an ein korrekt durchgeführtes BEM-Verfahren deutlich verschärft. Immer häufiger landet das Thema vor Gericht – etwa im Zusammenhang mit Kündigungsschutzklagen oder dem Vorwurf mangelnder Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Gleichzeitig fließen diese juristischen Entwicklungen zunehmend in die Empfehlungen von Berufsgenossenschaften, Fachverbänden und Fortbildungen für HR-Fachkräfte ein. Unternehmen, die das BEM bislang eher als formale Pflichtübung betrachtet haben, sind nun gefordert, ihre Prozesse kritisch zu überprüfen und inhaltlich wie strukturell weiterzuentwickeln.
Im Detail ergeben sich daraus folgende Anforderungen:
1. Transparente Einladung mit echtem Informationswert
Die Einladung zum BEM darf kein formaler Standardbrief sein, der lediglich eine Frist setzt. Mitarbeitende müssen nachvollziehbar verstehen, was ein BEM ist, warum es ihnen angeboten wird und welche Vorteile es für ihre Gesundheit und berufliche Perspektive hat. Zudem muss klar sein: Die Teilnahme ist freiwillig. Ein transparenter, empathischer Ton und eine einfache Sprache erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeitende das Angebot annehmen – und schaffen gleichzeitig Vertrauen in den Prozess. Unternehmen sollten daher ihre Einladungsschreiben regelmäßig überarbeiten und idealerweise mit Betriebsrat oder Schwerbehindertenvertretung abstimmen.
2. Datenschutz im Fokus
Beim BEM handelt es sich um einen besonders sensiblen Bereich, da Gesundheitsdaten betroffen sind. Arbeitgeber müssen präzise und transparent darlegen, welche Daten im Rahmen des Verfahrens erhoben werden, wer Zugriff darauf hat, wofür sie verwendet werden – und wann sie gelöscht werden. Die Einwilligung zur Verarbeitung personenbezogener Daten muss freiwillig und dokumentiert erfolgen. Auch das Verfahren zur Datenaufbewahrung und -vernichtung sollte klar geregelt und im Datenschutzkonzept verankert sein. Wer hier Fehler macht, riskiert nicht nur das Vertrauen der Mitarbeitenden, sondern auch empfindliche Datenschutzverstöße.
3. Dokumentation der Gesprächsführung und der BEM-Einladung
Arbeitgeber sind verpflichtet, den gesamten BEM-Prozess lückenlos zu dokumentieren. Dazu gehört vor allem der Nachweis, dass das Verfahren rechtzeitig und korrekt angeboten wurde – mit Angabe des Zeitpunkts, des Inhalts und der Reaktion der betroffenen Person. Auch das eigentliche BEM-Gespräch muss inhaltlich dokumentiert werden: Wer war beteiligt? Welche Maßnahmen wurden besprochen? Gab es eine Einwilligung zur Datenerhebung? Diese Dokumentation ist nicht nur für die interne Nachverfolgung wichtig, sondern auch im Falle eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens – etwa, wenn die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung überprüft wird.
4. Individuelle Lösungen statt Standardmaßnahmen
Ein BEM ist kein pauschaler Prozess. Die Anforderungen steigen auch deshalb, weil Gerichte immer öfter kritisieren, dass Maßnahmen zu pauschal oder oberflächlich seien. Ein höhenverstellbarer Schreibtisch allein reicht selten aus, um die Rückkehr in den Job nachhaltig zu gestalten. Stattdessen sind maßgeschneiderte Lösungen gefragt. Lösungen, wie individuelle Wiedereinstiegsmodelle, flexible Arbeitszeiten, temporäre Änderungen im Aufgabenbereich oder auch die Unterstützung durch externe Stellen. Jedes BEM muss sich an der konkreten Situation und den tatsächlichen Belastungen der betroffenen Person orientieren – und dies auch nachvollziehbar belegen.
5. Aktive Einbindung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung (SBV)
Die Zusammenarbeit mit der betrieblichen Interessenvertretung wird zunehmend als fester Bestandteil eines rechtskonformen BEM-Prozesses gesehen. Der Betriebsrat – und bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Mitarbeitenden auch die SBV – muss frühzeitig einbezogen werden. Ziel ist es, gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln, die sowohl die Bedürfnisse des Unternehmens als auch die individuellen Einschränkungen und Ressourcen der betroffenen Person berücksichtigen. Einseitige Entscheidungen des Arbeitgebers ohne Einbindung der Beteiligten können nicht nur zu Vertrauensverlust führen, sondern auch arbeitsrechtlich angreifbar sein.
Was bedeutet das für dein HR-Team?
Die verschärften Anforderungen des BEM-Verfahrens sind kein reines Rechts- oder Spezialthema. BEM betreffen das gesamte HR-Team, Führungskräfte und teilweise auch externe Schnittstellen. Wer das Betriebliche Eingliederungsmanagement verantwortungsvoll umsetzt, braucht mehr als nur eine Vorlage oder eine Unterschrift. Es geht um Haltung, Wissen, Kommunikation und Kooperation. Damit dein Unternehmen den gestiegenen Anforderungen gerecht wird – und gleichzeitig das Vertrauen der Mitarbeitenden stärkt –, lohnt sich ein systematischer Blick auf vier zentrale Handlungsfelder:
1. Bestehende BEM-Prozesse prüfen und überarbeiten
Viele Unternehmen haben zwar BEM-Maßnahmen implementiert. Doch oft sind die Prozesse veraltet, lückenhaft oder wenig praxisnah. Deshalb ist es jetzt entscheidend, den bestehenden Prozess gründlich zu analysieren… Gibt es ein klar definiertes Verfahren mit Zuständigkeiten, Fristen und Standards? Wird der Ablauf regelmäßig dokumentiert und evaluiert? Gibt es Anknüpfungspunkte an das Gesundheitsmanagement oder die Personalentwicklung?
Ein modernes BEM sollte nicht nur rechtskonform, sondern auch menschenorientiert, praxistauglich und flexibel sein. Nutze die Gelegenheit, um Prozesse zu verschlanken, verständlicher zu gestalten und mit anderen HR-Bereichen (z. B. Onboarding nach längerer Krankheit, mobiler Arbeit) zu vernetzen.
2. Schulung von HR und Führungskräften: Gesprächsführung, Datenschutz, Dokumentation
Ein zentrales Risiko ist die unsichere oder unangemessene Gesprächsführung. Viele Führungskräfte fühlen sich mit der Verantwortung, sensibel über Krankheit, Belastungen oder mögliche Anpassungen zu sprechen, überfordert oder unwohl. Hier braucht es gezielte Schulung und Begleitung – idealerweise in Form von kurzen, praxisnahen Trainings. Auch HR-Fachkräfte profitieren von Fortbildungen zu Themen wie rechtskonformer Dokumentation, datenschutzkonformer Kommunikation und empathischer Gesprächsführung.
Denn: Die Wirkung eines BEM steht und fällt mit dem Vertrauen in die handelnden Personen. Wer Gespräche gut vorbereitet, souverän und wertschätzend führt und dabei professionell dokumentiert, schafft Sicherheit – auf beiden Seiten.
3. Stärkere Zusammenarbeit mit der Schwerbehindertenvertretung (SBV) und externen Partnern
Das BEM ist kein HR-Solo. Gerade bei komplexeren Fällen – z. B. bei Mitarbeitenden mit chronischen Erkrankungen, psychischen Belastungen oder anstehender Reha – ist die Kooperation mit internen und externen Stellen entscheidend. Dazu zählen insbesondere die Schwerbehindertenvertretung (SBV), der Betriebsrat, ggf. der Betriebsarzt, Integrationsämter oder externe Beratungsstellen.
HR sollte sich aktiv vernetzen, klare Kommunikationswege etablieren und regelmäßig den Austausch suchen. So entstehen tragfähige Lösungen, die nicht auf dem Reißbrett, sondern im Dialog mit allen Beteiligten entwickelt wurden – und dadurch nachhaltiger sind.
4. Interne Kommunikation verbessern – insbesondere Einladung und Aufklärung
Viele BEM-Verfahren scheitern nicht an der Umsetzung, sondern bereits an der Einladung. Ein unpersönliches Schreiben mit rechtlicher Sprache oder implizitem Druck wird oft als Abschreckung empfunden. Das führt eher dazu, dass Mitarbeiter das Angebot ablehnen oder sich nicht ernst genommen fühlen.
Hier liegt eine enorme Chance für dein HR-Team: Entwickelt wertschätzende, klar verständliche Einladungstexte, die den Sinn und Nutzen des BEM transparent machen – und vor allem Ängste abbauen. Ergänzend dazu lohnt es sich, intern Aufklärung über das BEM-Verfahren anzubieten. Das kannst du in Newslettern, über die Führungskräfte oder im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung tun.
Wer das Betriebliche Eingliederungsmanagement klar als Teil einer modernen Fürsorgekultur positioniert, stärkt auch die Vertrauensbasis im Unternehmen insgesamt.
Warum du das BEM nicht nur „wegen der Pflicht“ ernst nehmen solltest
Ein professionelles Verfahren signalisiert Wertschätzung, schützt das Unternehmen arbeitsrechtlich und stärkt die Bindung von Mitarbeitenden, die durch Krankheit belastet waren. Es ist ein starkes Zeichen: „Du bist uns wichtig – wir finden gemeinsam einen Weg zurück.“
Jetzt vorbereiten – bevor Konflikte entstehen
Gerade bei Kündigungsschutzprozessen oder Auseinandersetzungen mit Krankenkassen wird BEM zur entscheidenden Schutzmaßnahme für Arbeitgeber. Wer die formellen und menschlichen Aspekte verinnerlicht, schützt sich doppelt – rechtlich und kulturell.
Tipp:
Du möchtest deinen BEM-Prozess neu aufsetzen oder professionell prüfen lassen? Ich unterstütze dich gerne mit Erfahrung, Struktur und Vorlagen für Gesprächsführung, Dokumentation und Maßnahmenplanung.